Mit dem Fahrrad über die Alpen.
Mit dem Fersehen über das
Hahntenn Joch
Video
„Vieles was absurd und unsinnig klingt, ist oft die richtige Antwort auf die
Sehnsucht deiner Seele.“
Länger als sonst hab ich gezweifelt, überlegt, sollst du es noch einmal angehen?
Schaffst du es noch einmal und willst du überhaupt noch einmal?
In
diese Überlegungen
platzte dann die Anfrage vom Bayerischen Rundfunk, der
in Zusammenarbeit mit einer holländischen Universität eine Studie zum
Thema Radfahren und Parkinson“ erarbeitet.
Beim Recherchieren sind die Fernsehleute auf meine Reiseberichte im
Internet gestoßen und fragen nun an, ob sie die nächste Alpenüberquerung
mit der Kamera begleiten dürften...
Ich will nicht verschweigen, dass diese Anfrage dem Unternehmen einen
zusätzlichen Reiz gab und nach kurzer Rücksprache mit Jürgen stand fest
„Wir fahren“
Ausgangspunkt der Tour sollte wieder Füssen sein, von wo aus wir durch das
Lechtal, über das Hahntennjoch zum Ötztal, weiter über das Timmelsjoch, bis nach
Meran fahren wollten. Vervollständigt wurde
das
Team noch durch meinen Sohn Steffen, der uns mit dem Auto begleiten würde und
das Gepäck transportieren sollte. In Würzburg holten wir Jürgen vom Bahnhof ab
und trafen am späten
Nachmittag in Füssen ein.
Kurz nach 15:00Uhr sitzen wir im Sattel und brechen auf mit dem Ziel Elmen, einem kleinen Ferienort im Lechtal in Österreich. Im Elmerhof, wo wir übernachten wollten, würden wir das Fernsehteam am nächsten Morgen treffen.
Die knapp 50 km von Füssen zum
gebuchten Hotel lassen sich
problemlos fahren und sind eine
gute Gelegenheit sich auf die
nächsten Tage einzustimmen. Wenn es schnell gehen soll, nehmen auch wir die
Bundesstraße und verzichten auf die von den
Radwegeplanern festgelegten Wegstrecken, die so ziemlich kreuz und quer
durch die Lande führen und uns üblicherweise mit jedem Gasthof eines Ortes
bekanntmachen. Nein, für unser Vorhaben ist heute die Bundesstraße die geeignete
Piste, auf der wir, trotz Dauerregen und
stetigen Anstieges, das Lechtal
förmlich hinauf rauschen. Völlig durchnässt erreichen wir unser Ziel in
Elmen.
2.
Tag von Elmen über das Hahntennjoch nach Ötz
Üblicherweise wird abends, nach der absolvierten Tagesetappe geduscht, heute
dusche ich auch morgens, schließlich kommt das Fernsehen.
Mit dem
Frühstück
sollten wir fertig sein, wenn die angekündigte 4-köpfige Crew des Senders
aufkreuzt. In anerkannten
Feriendomizilen geht es offensichtlich gemütlich zu,
Frühstück vor 7:30 Uhr stellt die Hotellogistik vor große Probleme, die
Brötchen können nicht zeitig genug angeliefert werden.
Dafür ist der blaue VW-Bus mit der Aufschrift „BR“ pünktlich. Nach einem kurzen „Hallo“ finden wir uns wieder zwischen Kaffeetassen, Kabeln, Scheinwerfern, Mikrophon und Kamera und stellen uns den Fragen zum Radfahren unter den besonderen Bedingungen der Parkinsonerkrankung. Mal ist die Kamera hinter uns, mal vor uns, mal blickt sie mit uns auf die Karte, nichts entgeht dem gefräßigen Auge.
Aufrüsten der Fahrräder, Handschuhe anziehen, Luft aufpumpen, nicht in jeder Situation kann man dran denken den Bauch einzuziehen. Eigentlich sollte jetzt die Sonne scheinen, wir treten den Beweis an, dass langjährige Parkis steile und lange Alpenpässe auch im strömenden Regen mit dem Fahrrad hochfahren können. Manchmal fahren wir an der in den Serpentinen aufgebauten Kamera vorbei, manchmal fahren wir hinter dem Aufnahmewagen her, in dem der Kameramann festgezurrt hinter der geöffneten Heckklappe sitzt und filmt, keuchend hinterher
Jetzt wird’s sportlich, meine Stärke sind die Sprints, und so lege ich mitten am
steilen Berge einen Zahn zu, kann den Bus fast einholen, der Kameramann ist
überrascht und fordert ein bisschen mehr Gas vom Fahrer und die alten Zu- oder
Abstände sind wieder im richtigen Verhältnis.
Ich weiß auch nicht, wie viele Serpentinen wir ein 2. Mal
aufgefordert wurden zu fahren, nur, weil in der ersten Einstellung die Schönheit
der Landschaft nicht optimal eingefangen wurde. Aber gibt’s da was zu verbessern
wenn wir auf den Bildern sind?
Am Gipfel entspannt sich die Lage, Fernsehen hin Fernsehen her, jetzt erst mal
Jürgen beglückwünschen, 2 Parkies im Schneegriesel mit dem Fahrrad auf 1900m
Höhe hochgestrampelt- das Fernsehen tritt einen Moment zurück.
Dann geht’s talwärts und beim Hinabrollen wundert man sich erst richtig wie
steil die Berge sind. Ungefährlich sind solche Abfahrten bei nasser Straße
nicht. Auch die talseitig manchmal angebrachte Fahrbahnbegrenzung vermittelt
keine Sicherheit, bei diesem Tempo würden sie uns nicht auffangen, also
vorsichtig den Berg hinab. Das Ziel
ist Imst, oder besser ein Cafe dort. Der bayrische Rundfunk verabschiedet sich,
wir sind wieder unter uns.
Weiter geht’s auf der vielbefahrenen B 171 bis zur Einbiegung ins Ötztal. Mit
Steffen haben wir vereinbart in Ötz aufeinander zuwarten. Von unserem Begleiter
erfahren wir, dass ihm schlecht ist und auch ich muss mir eine gewisse Übelkeit
bescheinigen. Also Etappe in Ötz statt im etwa 30 km entfernen Sölden beenden.
Ein Hotel ist schnell gefunden.
3.Tag von Ötz nach Untergurgel und zurück nach Zwieselstein
Eigentlich hatten wir für Tag 3 die Überquerung des
Timmelsjoch als Etappenziel ausgegeben, für das, wie wir aus den Medien und von
den hier Einheimischen erfuhren, gerade gestern die Wintersperre aufgehoben
wurde. Das Ziel war also frei und
befahrbar und so gingen wir den Tag auch an, aber ersten kommt es anders als man
meistens zweitens denkt…
Ich war schlapp und mir war ein bisschen übel, wie auch schon
am Ende des Vortages, zum Glück war Steffen wieder fit. Dieses allgemeine
Unwohlsein begünstigte sicher auch meine Parkinson Symptome
und äußerte sich deutlich mit
schweren, kraftlosen Beinen. Fazit:
ich hatte keine Kraft in den Beinen und konnte nicht den notwendigen Druck auf
die Pedalen bringen der für diesen Tag besonders gefordert war. Ich hatte Mühe
mit Jürgen mit zuhalten, ein ungewohntes Bild, Jürgen
möge mir verzeihen, dass ich hier erwähne, eigentlich eher vorweg zu
fahren und gelegentlich zu warten, als hinterher zu hecheln und nicht
mitzukommen.
In
flottem Tempo fahren wir das Ötztal hinauf. Stetig aber noch moderat geht es
bergauf. In Sölden rasten wir um Mittag zu essen.So langsam wird uns klar, dass wie das Timmelsjoch heute nicht mehr schaffen
würden, also planen wir in Unter.-oder Hochgurgel,
zwei reine Wintersportorte auf halben Weg zum Timmelsjoch, zu
übernachten. Die nächste Etappe hieß jedoch zunächst
Zwieselstein.
Die Steigungen werden giftiger. Am Ortsausgang von Sölden windet sich die breite
Bundesstraße steil und gnadenlos einen Hang hinauf. Immer wieder wird die
Übersetzung angepasst, nach dem eigenen Rhythmus gesucht und nach jeder Kurve
gehofft, das die Steigung nachlässt. Dieses Szenario, diese Gedanken, dieses
Wollen und nicht aufgeben, Reserven mobilisieren und fahren am persönlichen
Grenzbereich, sich kennen und wissen wann
es genug ist, sind wichtige Voraussetzungen und werden jedem Radfahrer,
der sich mit den Alpen einlässt, abgefordert.
Eine
Binsenweisheit ist, ein Berg ist zu Ende wenn man oben ist. Zwieselstein ist
auch oben. Ich rolle am Ortsschild vorbei und warte auf Jürgen. Auch Steffen
kommt angerauscht und beschließt, jetzt oben ohne weiterzufahren. Ja
tatsächlich, das Wetter ist umgeschlagen, statt Regen jetzt die Sonne.
Wir verständigen uns noch bis Untergurgl zu fahren und dort zu übernachten. Bis
Untergurgl werden es etwa 12km sein, die Entfernung ist nicht das Problem, wir
wissen allerdings auch, dass das Ziel, gemessen vom jetzigen Standort, etwa
1000m höher liegt. Ein Blick nach vorn und nach oben lässt den Straßenverlauf
erkennen. Nicht dran denken, einfach losfahren und nehmen was kommt.
Wie beim Start in diesen Abschnitt gesehen, jetzt gefühlt, steil und
schier endlos geht’s bergauf,
wichtig jetzt in den eigenen Rhythmus zu fallen, es geht jetzt nur in der
kleinsten Übersetzung, jeder fährt für sich allein, man kann am Berg nicht das
Tempo eines anderen Radfahrers übernehmen. Man zieht sich den Berg hinauf, indem
man mit dem Auge irgendwelche voraus liegende Zielpunkte setzt und sich
vornimmt: „noch bis zu dem großen Baum da hinten, dann Pause“. Nach einer
gefühlten Ewigkeit ist dieser Anstieg dann doch geschafft und weiter geht’s
etwas weniger steil bergauf. Ich durchfahre Tunnel und erkenne erst wenn ich
zurückschaue, in welcher Steigung diese Straße nach oben verläuft. Der Blick
nach vorn, also in Fahrtrichtung vermittelt ein weniger steilen Eindruck. Am
Ortseingang von Untergurgl wartet Steffen im offenen Cabrio, gemeinsam warten
wir auf Jürgen. Steffen fährt los um eine geeignete Unterkunft zu suchen. Wir
warten und verschnaufen. Erst langsam wird uns bewusst, dass die Passstraße bis
gestern noch gesperrt war und darin auch der Grund zu suchen ist, warum hier
kein Mensch zusehen ist und die Hotels alle geschlossen sind. Auch von Hochgurl,
wo Steffen soeben nach einer Herberge sucht erhalten wir über Handy die
Nachricht:“Alles geschlossen hier, kein Mensch weit und breit zu sehen“:
Also mit dem Rad zurück nach Zwieselstein und morgen mit dem Auto die Räder bis
hier transportieren und die morgige Etappe von unserem jetzigen Standort
beginnen. Als wir in Zwieselstein einrollen bin ich ganz froh vom Rad zu kommen,
denn irgendwie bin ich geschafft mir steckt wohl doch was in den Knochen.
4.Tag von Untergurgl nach Meran
Sportlicher Ehrgeiz hin, sportlicher Ehrgeiz her, da uns alle Orte mit der
Namensendung – gurgl
gestern keine Herberge anbieten konnten,
werden
wir ihnen nicht die Ehre erweisen noch einmal mit dem Fahrrad zu ihnen
aufzusteigen, dass wir das können haben wir gestern bewiesen. Die Zurückfahrt
nach Zwieselstein lag allein in der Notwendigkeit begründet, irgendwo ein Bett
zu finden. Also Fahrräder aufs Auto und die 12 km nach Untergurgl erhobenen
Hauptes im Cabrio zurücklegen.
Da uns der gestrige Tag mit den ersten Sonnenstrahlung dieses Alpentripps
verabschiedet hat, könnte man sich der Vermutung hingeben, dass der heutige so
weitermacht. Tatsache ist, es regnet und vom Timmelsjoch erhalte wir beim
Frühstück die Nachricht:Temperatur um den Gefrierpunkt und Nebel. Diese beiden
Bedingungen entscheiden über die Wahl der Garderobe: Lang, warm und regenfest,
statt kurzärmlig und leicht.
Viel Zeit zum Warmfahren bleibt uns
nicht. Die Straße von Untergurgl nach Hochgurgl hat gleich alles, was eine
Hochgebirgspassstraße ausmacht. Lange Steigungen, scharfe Kurven und für den,
der auf ihnen mit dem Fahrrad unterwegs ist, die Möglichkeit, die eigenen
Leistungsgrenzen zu erkunden. Dennoch erreichen wir mit dem morgendlichen
Schwung
kurz hinter Hochgurgl die Mautstation und rasten.
Wer sich einmal den Berg hochgequält hat will eigentlich auch oben bleiben, dass
gilt zumindest für den Fall, wenn das angestrebte Ziel auf einem noch höheren
Berg liegt. Eingeschobene Abfahrten sind da eher nicht willkommen, ist man sich
doch dessen bewusst, dass die durch Abfahrt verlorenen Höhenmeter später wieder
engefahren werden müssen. Gnadenlos fällt die Strecke gleich nach der
Mautstation über 2km recht steil bergab, wir verlieren an die 200 mühsam
erkämpften Höhenmeter.Inzwischen sind wir jenseits der Baumgrenze Als ich aufschaue sehe ich den
Streckenverlauf langgezogen in einem Gemisch von Nebel und Schnee am Horizont
verschwinden. Die Straße eingefasst durch bis zu 4m hohe Schneewände. Bizarr,
gigantisch und gespenstisch wirken diese Schneemaßen auf den einsam dahin
keuchenden Radfahrer, trotz aller Anstrengungen genieße ich die Auffahrt in
dieser irgendwie auch erhabenen Umgebung, Die Ruhe wird nur gelegentlich von
dahin knatternden Motorrädern durchbrochen. Radfahrer sind offensichtlich keine
weiter unterwegs. Der gleichmäßige Trott, unterbrochen von kurzen
Verschnaufpausen, lässt meinen Gedanken viel Raum, Erlebnisse, Erfahrungen, und
Emotionen jenseits von Buchstaben und Worten. Dann ist es geschafft, nach einer
letzten Kehre stehe ich mit dem Fahrrad auf dem Timmelsjoch.
Auch Jürgen biegt um die letzte Kehre, wir machen die üblichen Erinnerungsfotos
und gönnen uns im einfachen Restaurant eine Pause.
Für die Abfahrt ziehen wir uns noch einmal alles an, was gegen die Kälte und den Fahrtwind schützen soll. Jürgen verlässt als erster den Parkplatz und verschwindet in den nebligen Schneewänden. Ich fahre ebenfalls los und verabrede mich mit Steffen, in St.Leonhardt wieder Tauwasser die Straße hinunterfließenden kleinen Bäche,
und die wenigen aber
langen Tunnel, in denen man schlicht nichts von der Straße sieht. Ich habe
Angst, in den Tunneln irgendwelche Steine oder Schlaglöcher auf und in der
Fahrbahn zu übersehen, bin jedes Mal froh, wenn ich wieder im Freien fahren
kann. Ich bin inzwischen einige km
ins Tal gerollt und finde keine Spur von Jürgen. Steffen überholt mich mit dem
Auto und bei einem gemeinsamen Zwischenstopp bekunden wir unsere Besorgnis über
seinen Verbleib. Also im forschen
Tempo nach St. Leonhard, sicher hat er die Abfahrt so genossen, dass er ohne
Stopp zum vereinbarten Ziel durchgefahren ist. Aber auch hier treffen wir ihn
nicht an. Später klärt sich auf, dass er nicht in die nach Süden führende
Abfahrt vom Timmelsjoch eingebogen ist. Er hat sich schlicht und einfach
verfahren.
In St Leonhardt ist Sommer, wir passen unserer Kleidung an
und genießen die letzten km nach Meran und beenden das Abenteuer „Mit dem
Fahrrad über die Alpen“ bei einem gepflegten Eis im Freien in Meran.
Mein besonderer Dank geht hier an meinen Sohn Steffen, der geduldig und
umsichtig immer zur Stelle war wenn er gebraucht wurde. Danke Steffen, danke
auch Jürgen, wir haben uns gut ergänzt